Trumps Staatsangehörigkeits-Verordnung auf der Kippe
Bleibt sie vorläufig außer Vollzug oder kann sie vorläufig in Kraft treten? / Mündliche Gerichtsverhandlungen in dieser Woche und am Montag der kommenden
Als eine seiner zahlreichen Executive Orders, die US-Präsident Trump am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit erließ, ordnete er auch an, daß künftig ein dauerhafter, rechtmäßiger Aufenthaltsstatus der Eltern Voraussetzung sein soll, um die US-Staatsangehörigkeit durch Geburt auf US-Staatsgebiet zu erlangen. Heute nachmittag Mitteleuropäischer Zeit wird deswegen vor dem Bundes-District Court in Maryland eine mündliche Verhandlung beginnen.
Gegen die Trump-Verordnung wandten sich umgehend Schwangere mit unsicherem Aufenthaltsstatus, BürgerInnenrechts- und MigrantInnenorganisationen sowie 22 US-Bundesstaaten an mehrere US-Bundesgerichte. Bereits vor circa 1 ½ Wochen legte ein – in den 1980er Jahren vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan nominierter – Bundesrichter Trumps Staatsangehörigkeits-Verordnung – auf Antrag der Bundesstaaten Washington, Oregon, Arizona und Illinois für zunächst 14 Tage (Temporary Restraining Order) auf Eis. Am Donnerstag dieser Woche wird eine mündliche Verhandlung stattfinden und danach entschieden, ob Trumps Verordnung zunächst weiterhin blockiert bleibt (Preliminary Injunction), was aber auch noch nicht die Hauptsache-Entscheidung des Gerichts erster Instanz sein wird1. Am Donnerstag werden neben den vier genannten Bundesstaaten und der Trump-Regierung auch drei von AnwältInnen des Northwest Immigrant Rights Project vertretene Schwangere mit unsicherem Aufenthaltsstatus dabei sein2. Gegen die Entscheidung, die am Donnerstag fallen wird, kann der 9. Bundes-Appeal Court angerufen werden, der für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Bundes-Districts Courts in den westlichen Bundesstaaten zuständig ist.
Vorher wird bereits am heutigen Mittwoch vor einer Bundesrichterin im Bundesstaat Maryland an der Ostküste, die von Joe Biden, dessen Amtszeit im Januar endete, nominiert worden war, ebenfalls über Trumps-Staatsangehörigkeits-Verordnung verhandelt. Das dortige Verfahren wurde von – nur mit Vornamen bezeichneten – Schwangeren sowie Casa Inc., einer Organisation, die das Ziel hat, die „quality of life in working-class Black, Latino/a/e, Afro-descendent, Indigenous, and immigrant communities“3 zu verbessern, und dem Asylum Seeker Advocacy Project angestrengt.4
Am Freitag geht es dann in Massachusetts vor einem Bundesrichter, der 2014 vom damaligen Präsidenten Obama nominiert worden war, weiter. Er ist parallel für die Rechtsbehelfe von 18 Bundesstaaten (u.a. New Jersey) einerseits sowie einer – anonym bleibenden – Schwangeren („O. Doe“) sowie dem Brazilian Worker Center und La Colaborativa, die sich für „social, environmental, and economic health“5 einsetzt6, andererseits zuständig.
Schließlich wird am Montag in New Hampshire vor einem 2007 von George W. Bush nominierten Bundes-District Court-Richter verhandelt. Das dortige Verfahren wurde vom New Hampshire Indonesian Community Support (NHICS) und der League of United Latin American Citizens, die sich seit 1929 für die BürgerInnenrechte von Latino-Familien einsetzt, und Make the Road New York eingeleitet. Die letztgenannte Organisation verfolgt das Ziel, die „power of immigrant and working class communities“7 zu stärken, um „Würde und Gerechtigkeit“ zu erreichen.8 Unterstützend ist die American Civil Liberties Union (ACLU) an dem Verfahren in New Hampshire beteiligt.
Für Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der District Courts in Massachusetts und New Hampshire wird der 1.; für die Rechtsmittel gegen die Entscheidung des District Court in Maryland der 4. Bundes-Appeal Court zuständig sein. Weitere Verfahren sind anhängig, für die aber noch keine mündlichen Verhandlungen terminiert wurden.
Hauptstreitpunkt in allen Verfahren ist die Auslegung von Absatz 1 Satz 1 des 14. Zusatzes zur US-Verfassung („All persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction9 thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside“10) und dort besonders die Formulierung „subject to the jurisdiction [of the United States]“.
Diejenigen, die Trumps Staatsangehörigkeits-Verordnung für verfassungswidrig halten, berufen sich auf Entscheidungen des US-Supreme Court aus der Zeit vor und nach Verabschiedung des 14. Verfassungszusatzes, in denen es heißt: „The jurisdiction of the nation within its own territory is necessarily exclusive and absolute“11 und „[i]t can hardly be denied that an alien is completely subject to the political jurisdiction of the country in which he resides“12.
Diese These ist aber mit dem Problem verbunden, daß
wenn „The jurisdiction of the nation within its own territory“ tatsächlich „necessarily exclusive and absolute“ ist,
„subject to the jurisdiction [of the United States]“ eine bloße Verdoppelung von „born […] in the United States“ ist.
Wenn die jurisdiction einer Nation auf ihrem Staatsgebiet absolut und ausschließlich ist, dann sind zwangsläufig alle, die auf diesem Staatsgebiet geboren sind, auch dieser jurisdiction unterworfen – jedenfalls solange sie im Land sind. Warum dann im 14. Verfassungszusatz also (scheinbar) zwei Bedingungen für die Erlangung der US-Staatsangehörigkeit und nicht nur eine – wenn sie eh beide dasselbe bedeuten?
Nun gestehen diejenigen, die Trumps Staatsangehörigkeits-Verordnung für verfassungswidrig halten, zu, daß es ganz so einfach doch nicht ist: Kinder von DiplomatInnen, von SoldatInnen feindlicher Armeen auf US-Boden, Kinder, die auf Schiffen in US-Hoheitsgewässern geboren werden, und von nicht der Steuerpflicht unterliegende native Americans würde (jedenfalls) nicht (allein) durch Geburt auf US-Staatsgebiet StaatsbürgerInnen.
Die Trump-Regierung möchte nun eine weitere Ausnahme durchsetzen: Auch diejenigen auf US-Boden geborenen Kinder, die nicht mindestens einen Elternteil mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht haben, sollen die Staatsangehörigkeit nicht mehr durch Geburt erhalten. Dafür beruft sich die Trump-Regierung u.a. auf zehn Wörter in einer Entscheidung des US-Supreme Court, auf die sich im übrigen aber die anderen Seite des Streits beruft:
„The Fourteenth Amendment affirms the ancient and fundamental rule of citizenship by birth within the territory, in the allegiance and under the protection of the country, including all children here born of resident aliens, with the exceptions or qualifications (as old as the rule itself) of children of foreign sovereigns or their ministers, or born on foreign public13 ships, or of enemies within and during a hostile occupation of part of our territory, and with the single additional exception of children of members of the Indian tribes owing direct allegiance to their several tribes.“14
Die Trump-Regierung möchte also „in the allegiance and under the protection of the country“ als Synonym zur Formulierung des 14. Verfassungszusatzes, „subject to the jurisdiction [of the United States]“ verstehen – und das Treue (allegiance)-Erfordernis soll weitere Ausnahme vom Staatsangehörigkeits-Erwerb durch Geburt auf US-Boden rechtfertigen – zusätzlich zu denen, die in dem zitierten Supreme Court-Satz eh schon genannt sind.
Am Montagabend MEZ ging bei dem Gericht in Maryland, vor dem heute verhandelt wird, eine Antwort der KlägerInnen und AntragstellerInnen (Casa, Inc. u.a.) auf einen Regierungs-Schriftsatz von Freitag ein. In der Antwort wird argumentiert, die Position der Trump-Regierung zur Frage der „Treue“ (allegiance) sei in sich widersprüchlich: Mal verlange die Regierung eine ausschließe Treue im Sinne jedes Ausschlusses einer fremden Staatsangehörigkeit; dann wären aber selbst in den USA geborenen Kinder von AusländerInnen mit dauerhaftem, rechtmäßigen Aufenthalt von der Staatsangehörigkeit durch Geburt auf US-Boden ausgeschlossen. Dann wieder stelle die Trump-Regierung darauf ab, ob der Aufenthalt der Eltern rechtmäßig und dauerhaft sei oder nicht. In dieser Variante sei dann aber nicht mehr die ausschließe Treue im Sinne jedes Ausschlusses einer fremden Staatsangehörigkeit das Kriterium. Aber davon, daß es auf den Aufenthaltsstatus ankommen solle, steht nun definitiv nichts im 14. Verfassungszusatz. Dort ist vielmehr von Unterworfenheit unter die US-jurisdiction die Rede. Der US-jurisdiction sind aber alle Menschen auf US-Boden unterworfen, es sei denn sie haben diplomatische Immunität oder ähnliches (ausländische Schiffe), eine Art Teil-Autonomie (native Americans) oder sind für die USA im fraglichen Moment nicht greifbar (hypothetische Besatzungstruppen auf US-Boden). Wird zusätzlich zum Verfassungs-Wortlaut eine ausschließliche Unterworfenheit unter die US-jurisdiction verlangt, dann wären zwar Kinder von AusländerInnen ohne rechtmäßigem Aufenthalt ausgeschlossen, aber die Kinder aller anderen AusländerInnen ebenfalls, weil auch diese einer zweiten jurisdiction (nämlich der des elterlichen Heimatlandes) unterliegen.
Ob die Trump-Regierung mit dem Vorstoß – trotz der Widersprüchlichkeit ihrer Argumentation – Erfolg haben wird? Schwer zu sagen: Vor den District und Appeal Courts vermutlich eher nicht; am Ende – vor dem Supreme Court – vielleicht schon.
Siehe außerdem:
Trumps Dekret zum Staatsangehörigkeitsrecht von Bundesrichter blockiert
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/trumps-dekret-zum-staatsangehoerigkeitsrecht-von-bundesrichter-blockiert/ (vom 24.01.2025)
Staatsangehörigkeit nur bei „total […] allegiance“ (totaler Treue)?
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/01/Neuigkeiten_US-Staatsanghoerigkeit.pdf (vom 30.01.2025; 22 Seiten + 12 Seiten Anhang [Auszüge aus Schriftsätze der Bundesstaaten Washington, Oregon, Arizona und Illinois])
Neue Regierungs-Schriftsätze
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/neue-regierungs-schriftsaetze/ (vom 31.01.2025)
Chronologie der Verfahren (erfordert ein großes Display oder einen DIN A 3-Drucker, um sie bequem lesen zu können)
http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/02/Chronologie-US-Staatsangehoerigkeitsrecht.pdf
Weitere Schriftsätze im US-Staatsangehörigkeits-Streit (Update!)
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/weitere-schriftsaetze-im-us-staatsangehoerigkeits-streit/ (vom 04.02.2025)
1 https://www.courtlistener.com/docket/69561931/state-of-washington-v-trump/?filed_after=&filed_before=&entry_gte=&entry_lte=&order_by=desc#entry-46 („Joint Status Report due by 3/20/2025“).
2 https://www.courtlistener.com/docket/69561931/state-of-washington-v-trump/?filed_after=&filed_before=&entry_gte=&entry_lte=&order_by=desc#entry-56 („The Court ORDERS that the following cases be consolidated: C25-0127-JCC and C25-0163-JCC.“); https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.wawd.344093/gov.uscourts.wawd.344093.1.0_1.pdf, S. 4 der gedruckten bzw. S. 5 der digitalen Seitenzählung („Plaintiff Delmy Franco Aleman is a noncitizen from El Salvador. She has withholding of removal. She is pregnant, and her due date is March 26, 2025.“ usw.).
3 „Lebensqualität in schwarzen, lateinamerikanischen, afro-amerikanischen, indigenen und migrantischen ArbeiterInnenklassen-communities“
4 https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.574698/gov.uscourts.mdd.574698.1.0_1.pdf, S. 8 - 18.
5 „soziale, ökologische und wirtschaftliche Wohl“
6 https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mad.279876/gov.uscourts.mad.279876.1.0_3.pdf, S. 4 f.
7 „die Kraft von migrantischen und ArbeiterInnenklassen-communities“
8 https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.nhd.64907/gov.uscourts.nhd.64907.1.0_3.pdf, S.
9 Eine übliche Übersetzung wäre insbesondere „Gerichtsbarkeit“; im konkreten Kontext wäre vermutlich „Gesetzes- oder Gesetzgebungshoheit“ passender; Trump würde aber anscheinend – wie unten dargestellt – „and subject to the jurisdiction thereof“ in etwa mit, „und in einem Treue- und Schutzverhältnis zu ihnen [den Vereinigten Staaten] stehen“, übersetzen).
10 „Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und deren jurisdiction unterstehen, sind BürgerInnen der Vereinigten Staaten und des Einzelstaates, in dem sie ihren Wohnsitz haben.“
11 „Die jurisdiction einer Nation innerhalb ihres eigenen Territoriums ist notwendigerweise exklusiv und absolut“
12 „[e]s kann kaum bestritten werden, dass ein Ausländer vollständig der politischen Gerichtsbarkeit des Landes unterliegt, in dem er sich aufhält“
13 An anderer Stelle (S. 684 bzw. 36) der zitierten Entscheidung ist ausdrücklich von „public armed ship“ die Rede. Falls das auch auf S. 693 bzw. 45 gemeint ist, könnte „foreign public ships“ mit „ausländischen Kriegsschiffen“ übersetzt werden.
14 „Der vierzehnte Zusatzartikel bekräftigt die alte und grundlegende der Regel der Staatsbürgerschaft durch Geburt innerhalb des Territoriums – in Treue zu und unter dem Schutz des Landes –, einschließlich aller hier geborenen Kinder von hier wohnenden AusländerInnen, mit Ausnahme von oder von Bedingungen abhängig (die so alt sind wie die Regel selbst) von
Kindern ausländischer HerrscherInnen oder deren MinisterInnen,
oder Kindern, die auf ausländischen ??? [siehe FN 13] Schiffen geboren sind,
oder Kindern von FeindInnen innerhalb und während einer feindlichen Besetzung eines Teils unseres Territoriums,
und mit der einzigen zusätzlichen Ausnahme von Kindern von Mitgliedern der indianischen Stämme, die direkte Loyalität zu ihren verschiedenen Stämmen schulden.“