Sind die USA seit Montag eine absolutistische Monarchie (oder sogar etwas noch Unerfreulicheres)?
Zur Entscheidung des US-Supreme Court von Montag in Sachen Immunität von US-PräsidentInnen
Der US-Supreme Court hat am Montag entschieden, daß US-PräsidentInnen – auch nach Ende ihrer Amtszeit – eine teilweise Immunität für während ihrer Amtszeit ausgeführte official acts haben. Die deutsche Presse begeistert sich vor allem für einen Satz aus dem Minderheitsvotum der drei von Obama und Biden nominierten Richterinnen Sotomayor (Autorin), Kagan und Jackson (mitzeichnend). „In every use of official power, the President is now a king above the law.“1 (Das Handelsblatt vom 02.07.2024, Die Welt vom 02.07.2024, das nd vom 02.07.2024, die taz vom 01.07.2024 und vielleicht noch einige andere Medien führen ihn ihrer Berichterstattung an.)
Auch wenn wir von der ‚Kleinigkeit‘, daß die USA weiterhin eine Republik sind, absehen, ist es in Wirklichkeit so, daß die Gerichts-Mehrheit vielmehr ausdrücklich sagt: „The President is not above the law“ – und das, was die Gerichts-Mehrheit sagt, ist auch nicht nur eine Bemäntelung oder Leugnung dessen, was die Mehrheit wirklich tut.
Trump beanspruchte anknüpfend an eine ältere Entscheidung des Supreme Court2 in Bezug auf zivilrechtliche „damages liability“ (Haftung für Schäden) – auch im strafrechtlichen Bereich „absolute Presidential immunity […] for acts within the ‚outer perimeter‘ of his official responsibility“3 – und auf dieser Grundlage die Abweisung der ganzen Anklage gegen ihn:
„Trump moved to dismiss the indictment based on Presidential immunity. […]. Trump argued that all of the indictment’s allegations fell within the core of his official duties. Id. [Motion To Dismiss Indictment Based on Presidential Immunity in No. 1:23–cr–00257 (DC), ECF Doc. 74], at 27.“
(Trump v. United States [01.07.2022], S. 11; Hyperlink hinzugefügt) /
„Trump beantragte die Anklage [gegen ihn] wegen präsidialer Immunität abzuweisen. […] Trump argumentierte, daß alle Vorwürfe in der Anklage zum Kernbereich seiner offiziellen Pflichten gehört hätten.“
Erhalten hat er aber nur:
„[…] absolute immunity from criminal prosecution for actions within his conclusive and preclusive constitutional authority. And he is entitled to at least presumptive immunity from prosecution for all his official acts. There is no immunity for unofficial acts.“
(Trump v. United States [01.07.2022], S. 1) /
„absolute Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung für Handlungen im Rahmen seiner eindeutigen und ausschließlich Zuständigkeit. Und er ist zumindest zu hypothetischer Immunität vor Verfolgung aller seiner offiziellen Akte berechtigt. Es gibt keine Immunität für nicht offizielle Akte.“
Auch allen Berufs-DramatisiererInnen sollte klar sein: Es gehört nicht zu der „conclusive and preclusive constitutional authority“ von US-PräsidentInnen, in den USA Wahlergebnisse zu (ver)fälschen oder andere Leute dazu anzustiften.
Wegen meiner Abneingung gegen Dramatisiererei habe ich bei den taz-Blogs eine 30-seitige Analyse zu der Entscheidung des US-Supreme Court von Montag veröffentlicht.
Abgesehen davon, daß ich dort gegen die These, die USA seien zu einer absolutistischen Monarchie4 geworden, in der ein König über dem Gesetz stehe, polemisiere, schließe mich dort der Auffassung von Richterin Barrett an, daß es in der Entscheidung in Wirklichkeit gar nicht um Immunität, sondern um die Frage gehe, unter welchen Voraussetzungen Strafrechtsnormen, die (auch) US-PräsidentInnen betreffen, (teilweise) verfassungswidrig sind:
„The Court describes the President’s constitutional protection from certain prosecutions as an ‚immunity.‘ As I see it, that term is shorthand for two propositions: The President can challenge the constitutionality of a criminal statute as applied to official acts alleged in the indictment, and he can obtain interlocutory review of the trial court’s ruling. There appears to be substantial agreement on the first point. Like the Court, the dissenting Justices and the Special Counsel all accept that some prosecutions of a President’s official conduct may be unconstitutional. See post, at 16 (opinion of SOTOMAYOR, J.5); Brief for United States 24–306.“
(Trump v. United States [01.07.2022], S. 61)
Davon ausgehend komme ich dann – vergleichsweise – auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (der BRD) zum „Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung“ zu sprechen:
Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (BVerfGE 49, 89 [124 ff.7]). Auch der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung voraus (BVerfGE 67, 100 [1398]).“
(BVerfGE 68, 1 - 1119 [86 f., DFR-Tz. 143] – Atomwaffenstationierung; fette Hv. hinzugefügt; kursive Hv. i.O.)
Und das führt mich dann schließlich zu einer generellen Ehrenrettung für die rule of law und das judicial restraint gegenüber politischen Entscheidung (verglichen mit dem deutschen Rechtsstaat und der deutschen Überzeugung, jede politische Entscheidung und Meinung müsse, dürfe und solle gerichtlich bewertet werden):
Aus den von mir vorgetragenen Gründen scheine „mir die deutsche Aufregung über die und erst recht deutsch-‚freiheitlich demokratischer‘ Hochmut gegenüber der US-Supreme Court-Entscheidung von Montag ziemlich übertrieben zu sein – auch wenn ich im Moment nicht genau weiß, ob – wenn ich hätte mit abstimmen dürfen – mit Richterin Barrett oder mit den Richterinnen Sotomayor, Jackson und Kagan gestimmt hätte. Mit den fünf Herren im Supreme Court hätte ich jedenfalls – trotz meiner Distanz gegenüber allzu aufgeregter Kritik – nicht gestimmt.
1Trump v. United States [01.07.2022], S. 97 [hier und im folgenden jeweils der durchgehenden digitalen Seitenzählung]).
Die Entscheidung besteht aus sechs – (in der jetzigen vorläufigen Veröffentlichung) jeweils separat paginierten – Teilen:
+ Einer Zusammenfassung (der Mehrheitsmeinung) (8 Seiten);
+ der Mehrheitsmeinung (43 Seiten);
+ der ergänzenden Begründung von Richter Thomas (9 Seiten);
+ der ‚ergänzenden‘ (aber teilweise dissentierenden) Begründung von Richterin Barrett (7 Seiten);
+ dem gemeinsamen Minderheitsvotum der drei von Obama und Biden nominierten Richterinnen (30 Seiten)
und
+ einem ergänzenden Text einer dieser drei Richterinnen (Jackson – 22 Seiten).
Die endgültigen – dann mit durchgehender Seitenzählung versehenen – Bände der Entscheidungen des US-Supreme Court – die erst mit erheblicher Verzögerung erscheinen – gibt es für die Zeit ab 1995 dort: https://www.supremecourt.gov/opinions/USReports.aspx; die älteren dort: https://www.loc.gov/collections/united-states-reports/about-this-collection/united-states-reports-by-volume/.
2 Nixon v. Fitzgerald, 457 U.S. 731 - 758 (756).
3 „absolute präsidiale Immunität für Handlungen innerhalb des äußeren Umkreises [bis zum äußeren Rand] seiner offiziellen Verantwortlichkeit“.
4 Genau genommen müßte sogar von einer Tyrannis oder etwas ähnlichem gesprochen werden, wenn die Polemik „über dem Gesetz steht“ ernstzunehmen wäre. Denn auch absolutistische MonarchInnen waren an ihre eigenen Gesetze gebunden, solange sie nicht änderten: „Ohne das Gesetz, das Hobbes' Staatsoberhaupt als Souverän erlassen und öffentlich verkündet hat, kann er als Exekutive nicht handeln, er unterliegt also dem Rückwirkungsverbot. […]. Der absolute Monarch bei Bodin oder Hobbes ist nicht etwa souverän wegen seiner Innehabung des sogenannten Gewaltmonopols, sondern in seiner Eigenschaft als Quelle allen Rechts.“ (Ingeborg Maus, Vom Rechtsstaat zum Verfassungsstaat. Zur Kritik juridischer Demokratieverhinderung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2004, 835 - 850 [839])
5 „If the former President has an argument that a particular statute is unconstitutional as applied to him, then he can move to dismiss the charges on that ground. Indeed, a former President is likely to have legal arguments that would be unavailable to the average criminal defendant.“ (Trump v. United States [01.07.2022], S. 83)
6 „If a former President were prosecuted under a criminal law that raises serious separation-of-powers concerns in a particular context, an Article III court could first determine whether a background principle such as the public-authority defense protects against 30 liability; construe the statute to avoid a serious separation-of-powers concern; or, if that is not possible, declare a particular application of the statute unconstitutional.“ (https://www.supremecourt.gov/DocketPDF/23/23-939/306999/20240408191803801_United%20States%20v.%20Trump%20final%20for%20filing.pdf, S. 29 f.; kursiv-Setzung des einschlägigen Halbsatzes und fett-Setzung der Seitenzahl „30“ hinzugefügt)
7 Der Link ist auf der Webseite falsch; richtig ist vielmehr: https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv049089.html#124.
Auch der folgende Link ist falsch; dieser muß vielmehr lauten: https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv067100.html#139.
8 „Angesichts dieser Verfassungslage und Verfahrensmöglichkeiten dürften sich nur unter ganz besonderen Umständen Gründe finden lassen, dem Untersuchungsausschuß Akten unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes vorzuenthalten. Solche Gründe können sich insbesondere aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben. Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk (vgl. BVerfGE 9, 268 [281]) setzt notwendigerweise einen ‚Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung‘ voraus (Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, AöR 105 [1980], S. 598), der einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dazu gehört z.B. die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht. Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstreckt sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, in denen die Regierung aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geheimzuhaltende Tatsachen mitzuteilen nicht verpflichtet ist.“ (BVerfGE 67, 100 - 146 [139; DFR-Tz. 123 f.] – Flick-Untersuchungsausschuß; zu dieser Entscheidung gab es keine abweichenden Voten; Mahrenholz gehörte auch in diesem Fall zu den zuständigen Richtern; Hv. hinzugefügt)
9 Es folgt auf den Seit 111 - 132 eine abweichende Meinung von Richter Mahrenholz.