Am Donnerstag, den 18.04.2024 begann vor dem Landgericht Karlsruhe ein Prozeß gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland (Freiburg).1 In dem Verfahren wird „auch über die Pressefreiheit in Deutschland verhandelt. Darauf wiesen beim ersten Prozesstag am 18. April […] zahlreiche Transparente hin, die auf einer Solidaritätsdemonstration für Kienert gezeigt wurden. ‚Pressefreiheit statt Polizeistaat‘ und ‚Solidarität ist nie offline‘ lauteten einige der Parolen,“ so berichtet in der taz vom 28.01.2024 Peter Nowak. Inzwischen fanden fünf Verhandlungstage statt2; mindestens zwei weitere werden Mitte Mai folgen3.
Anlaß des Verfahrens ist, daß auf der Webseite des Senders am 30.07.2022 ein Artikel des angeklagten Journalisten, Fabian Kienert, erschienen war.4 Auslöser des staatsanwaltschaftlichen (und auch oberlandesgerichtlichen5) Furors ist insbesondere
die zutreffend Tatsachenbehauptung, „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.“ (linksunten.indymedia.org war eine von damals zwei deutschen Subdomains der Domain indymedia.org, zu der es Subdomains für zahlreiche Ländern, Regionen und Städten gibt)
die Bebilderung des Artikels, die aus einem Foto besteht, auf dem eine Hauswand mit dem Graffito „Wir sind alle linksunten.indymedia“ zu sehen ist,
sowie
die Formulierungen „der konstruierte Verein“ und „im Zuge des konstruierten Vereins“. Mit diesen beiden Formulierungen klingt Kritik an einer Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 17.08.2017 an, die am 25.08.2017 im Bundesanzeiger – in einem Amtsblatt6 der Bundesrepublik Deutschland – veröffentlicht worden war. Deren ersten beiden Ziffern lauten: „1. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. 2. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“ (BAnz AT 25.08.2017 B1) (Die Verfügung war im Nachgang zu den teils gewaltsam verlaufenen Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 und vor der Bundestagswahl im selben Jahr erfolgt.)
Freilich war linksunten.indymedia kein Verein, sondern eine Diskussions- und Nachrichtenplattform im Internet; diese hatte zwar auch einen HerausgeberInnenkreis, der prinzipiell ein Verein gewesen sein kann7; der HerausgeberInnenkreis hieß aber Independent Media Centre (IMC) Linksunten (und nicht wie sein Medium „linksunten.indymedia“).
Die Rede von einem „konstruierten Verein“ ist also jedenfalls nicht an den Haaren herbeigezogen; auch in andere Medien-Berichten wurden ähnliche Formulierungen verwandt. So schrieb Sebastian Meineck bei netzpolitik.org aus Anlaß des Prozeßbeginns gegen Kienert:
„Indymedia Linksunten war eine der wichtigsten Anlaufstellen für die linke und linksradikale Szene in Deutschland. 2017 ist der Betrieb der Seite durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verboten worden. Schon damals kritisierte etwa die Organisation ‚Reporter ohne Grenzen‘ das Verbot als ‚rechtsstaatlich fragwürdig‘. Denn das Verbot wurde mit dem Vereinsrecht begründet; Linksunten Indymedia kurzerhand als ‚Vereinigung‘ deklariert. Aus Sicht von ‚Repoter ohne Grenzen‘ handelte es sich bei der Seite aber vielmehr ‚um ein informationelles Online-Angebot, das dem hohen Schutzstandard der Pressefreiheit unterliegt‘.“
„Konstruierter Verein“ (Kienert) – „als ‚Vereinigung‘ deklariert“ (Meineck). Verläuft dort in der Bundesrepublik Deutschland die Grenze zwischen Straftat und Nicht-Straftat?
Der Unterschied zwischen beiden Artikeln liegt jedenfalls nicht zwischen Nennung und Nicht-Nennung der URL des linksunten-Archivs; auch Meineck nannte sie:
Schaubild 1: Ist das alles von der Pressefreiheit gedeckt oder eine Unterstützung der verbotenen, angeblichen „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“?
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, was in einer pluralistischen Demokratie selbstverständlich sein sollte – allerdings ist es in Deutschland (dem Land der Sozialistengesetze im Kaiserreich8; der strafrechtlichen KommunistInnenverfolgung in den 1950er und 1960er Jahren9 sowie des Radikalenerlasses10 und der Hatz auf RAF-„Sympathisanten“11 in den 70er und 80er Jahren12) nicht selbstverständlich:
„Die mit einem Eintreten für eine Aufhebung des Verbots verbundenen Solidarisierungseffekte sind, auch dann, wenn damit zugleich eine Sympathie für die verbotene Vereinigung ausgedrückt wird, im Interesse der freien Meinungsäußerung hinzunehmen (vgl. BVerfG, NVwZ 2002, 709 <710>).“
(BVerfG, Beschluß vom 26.09.2006 zum Aktenzeichen 1 BvR 605/04, Textziffer 56)
Damit könnte die juristische Befassung mit Kienerts (und Meinecks) Artikeln ein Bewenden haben – die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und das Oberlandesgericht Stuttgart werfen allerdings die Frage auf, ob Kritik an dem Verbot + Verlinkung des Archivs der angeblich vom verbotenen „Verein“ betriebenen Webseite + Bebilderung des Artikels von Kienert eine Unterstützung der verbotenen Vereinigung (§ 85 Absatz 2 StGB) darstellen (siehe noch einmal FN 5) – und zwar in Form der Verbreitung eines Propagandamittels der verbotenen Vereinigung:
„Die Grenze zur Strafbarkeit bei der Wiedergabe fremder Texte ist […] überschritten, wenn die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte verbotener Vereinigungen nur ein Vorwand ist, um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen (BGH, Urteil v. 09.04.1997, 3 StR 387/96).“
„Insgesamt überwiegen […] die Argumente, den Artikel des Angeklagten nicht als straflose (Sympathie-) Werbung für die verbotene Vereinigung anzusehen (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 19.07.2012, 3 StR 218/12, StV 2013, 303ff), sondern als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung.“
(OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23, Textziffer 62 und 66)
Daran irritiert bereits, daß die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wegen Unterstützung einer verbotenen Vereinigung (§ 85 Absatz 2 StGB) Anklage erhoben und das Oberlandesgericht Stuttgart das strafrechtliche Hauptverfahren gegen Kienert eröffnet hat, es für das „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ aber einen eigenen Paragraphen gibt – die Damen und Herren des Stuttgarter Oberlandesgericht und der Karlsruher Staatsanwaltschaft hätten nur einen Paragraphen weiterlesen müssen. Dort – in § 86 StGB – hätten sie freilich eine für sie unerfreuliche Nachricht gefunden:
„Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“
Ist der Artikel von Kienert etwas anderes als „Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte“ + ein bißchen (laut Bundesverfassungsgericht: zulässiger) Kritik an einem Vereinsverbot?
Sehen wir uns daher Kienerts Artikel im vollen Wortlaut + Bebilderung und Bildbeschriftung („‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“ [Hv. hinzugefügt]) an, damit sich die LeserInnen ihr eigenes mündiges Urteil bilden können:
Schaubild 2: Der Kienert-Artikel, so wie er am Tag der Veröffentlichung (am 30.07.2022) von archive.org gespeichert wurde; inzwischen sind die Verweise unter der Überschrift „Mehr zum Thema“ (vermutlich automatisch) aktualisiert worden.
Zu erwähnen ist noch, daß sich das Oberlandesgericht Stuttgart – außer an den schon genannten Artikelstellen – auch noch an dem Satz, „Im November 2020 hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg schon die Durchsuchung der KTS im August 2017 im Zuge des konstruierten Vereins Indymedia Linksunten für rechtswidrig erklärt“, stört. Aber auch dieser Satz ist – abgesehen von einer kleinen Datierungsungenauigkeit – wahr: Der baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof mit Sitz in Mannheim erklärte die Durchsuchung mit Beschluß vom 12.10.2020 zum Aktenzeichen 1 S 2679/1913 tatsächlich für rechtswidrig:
„Es wird festgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung in Nr. 1 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. August 2017 – 4 K 7022/17 – rechtswidrig gewesen ist.“
Der Beschluß ist anonymisiert, sodaß die KTS in der Veröffentlichung nicht ausdrücklich genannt ist. Daß diese gemeint ist, ergibt sich aber bspw. auch aus einem Artikel bei tarnkappe.info vom 12.11.2020 mit der Überschrift „KTS-Razzia war rechtswidrig“. Der Artikel enthält ebenfalls einen Link zum linksunten-Archiv14 und ist mit einem Foto einer Mauer bebildert, auf der die URL indymedia.org gesprüht wurde.
Auch golem.de vom 01.07.2022 berichtete über die Rechtswidrigkeit der KTS-Durchsuchung:
„Im Zuge des damaligen Verbotsverfahrens hat die Polizei Räume des autonomen Zentrums KTS in Freiburg durchsucht und Datenträger beschlagnahmt. Im Jahr 2020 entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg laut der Tageszeitung taz, dass diese Durchsuchung rechtswidrig war.“
Auch der golem.de-Artikel enthält einen Link zum linksunten-Archiv: „Wenige Tage vor der Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht [über das linksunten-Verbot] wurde ein Archiv der Webseite online gestellt.“
Damit spitzt sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Karlsruhe (und auch für die rechtliche Bewertungen der anderen genannten Artikel; siehe dazu die von mir erstellte Synopse) ziemlich viel – wenn nicht alles – auf folgende Fragen zu:
Existierte die verbotene Vereinigung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der fraglichen Artikel – trotz des Verbots – (weiterhin)? Denn auch das Oberlandesgericht Stuttgart geht von folgendem aus: „eine nichtexistente Vereinigung [kann] nicht unterstützt werden kann“ (OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23, Textziffer 47).
Für einen Fortbestand der Vereinigung spricht bisher nahezu nichts, falls wir der Berichterstattung der Webseite von Soliwelle Dreyeckland sowie von Radio Dreyeckland selbst über die mündliche Verhandlung glauben können: So soll ein Freiburger Staatsschutzbeamter ausgesagt haben, er „halte es für ‚durchaus realistisch‘, dass das Archiv von jemand Drittem [also von anderen als dem ursprünglichen BetreiberInnenkreis] hochgeladen worden sei“15.
Über einen LKA-Beamten (der für die Ermittlungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder des früheren BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia, die auch verdächtigt werden für die Archiv-Veröffentlichung verantwortlich sein, zuständig ist und am Mittwoch, den 24.04. vor dem Landgericht Karlsruhe aussagte) heißt es, auch er „konnte nach 8 ½ Monaten – jetzt bald neun Monaten – nur aussagen, daß er bis jetzt keine Beweise für die Fortexistenz des IMC Linksunten und dessen Verantwortlichkeit für das Hochladen des Archivs gefunden habe.“16 (Mit „nach 8 ½ Monaten“ ist gemeint: 8 ½ Monate nach Durchsuchungen, die am 02.08.2023 in Freiburg stattfanden.17)
Kann das Verbreiten von Propagandamitteln einer verbotenen Vereinigung nicht nur nach § 86 StGB, sondern zusätzlich auch als Unterstützung dieser Vereinigung nach § 85 Absatz 2 StGB bestraft werden?
Der BGH hatte auf die entsprechende Frage für verbotene Parteien in den 1970er mal mit „Ja“ geantwortet18; der Bundestag hatte bei Verabschiedung der beiden Paragraphen aber etwas anderes gewollt:
„Einigkeit bestand unter den Ausschußmitgliedern darüber, daß auf die §§ 84, 85 StGB i. d. AF [= Ausschußfassung (im Unterschied zum vorhergehenden Regierungsentwurf)] und § 20 Vereinsgesetz nicht zurückgegriffen werden darf, wenn dies auf eine Umgehung der in § 86 StGB i. d. AF beschlossenen Einschränkungen hinauslaufen würde.“
(BTag-Drs. V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 9)
Stellt die bloße Verlinkung einer Webseite überhaupt deren Verbreitung (oder auch nur deren Zugänglichmachung) dar? Zugänglich war die linksunten-Archiv-Seite jedenfalls schon lange, bevor Fabian Kienerts Artikel erschien. Und verbreitet wird das Archiv durch Telekommunikationsunternehmen, die Internet-Anschlüsse bereitstellen – also den Datenfluß zwischen Webserver und Endgerät der LeserInnen bewerkstelligen –; diese sind aber von § 8 Telemediengesetz geschützt:
„Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie
1. die Übermittlung nicht veranlasst,
2. den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
3. die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.
Sofern diese Diensteanbieter nicht verantwortlich sind, können sie insbesondere nicht wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers auf Schadensersatz oder Beseitigung oder Unterlassung einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen werden; dasselbe gilt hinsichtlich aller Kosten für die Geltendmachung und Durchsetzung dieser Ansprüche. Die Sätze 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen.“
Bereits am 29.01.2020 hatte im übrigen Sebastian Grüner bei golem.de berichtet: „Wenige Tage vor der Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht [über das linksunten-Verbot] ist ein Archiv der Webseite online gestellt worden“, wobei der Hyperlink im Zitat zur ursprünglichen Adresse des linksunten-Archivs (https://linksunten.archive.indymedia.org/) führt. Des weiteren schrieb Grüner „Die Einordnung als Verein ist […] schon damals [2017, bei Verfügung des Verbots] strittig gewesen. Die Nachrichtenagentur dpa schrieb gar von einem ‚Kniff‘ durch die Sicherheitsbehörden.“
Sehr geehrte Damen und Herren von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe,
welches Hühnchen haben Sie speziell mit Herrn Kienert von Radio Dreyeckland zu rupfen – daß die anderen genannten Artikel Ihre Aktivität anscheinend nicht auslösten? Daß Sie die anderen KollegInnen nicht verfolgen, ist nicht zu beanstanden – nur: Warum verfolgen Sie Herrn Kienert?
1 „Am Landgericht Karlsruhe hat am Donnerstag der Prozess gegen Fabian Kienert begonnen. Der Redakteur des Freiburger Alternativsenders Radio Dreyeckland (RDL) soll […]“ (vorwärts vom 18.04.2024) / „15 Monate nach der Durchsuchung von Radio Dreyeckland hat der Strafprozess gegen einen Redakteur des Freiburger Senders begonnen. […]. Angeklagt ist er wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot, wie die Staatsschutzkammer des Landgerichts Karlsruhe am Donnerstag mitteilte.“ (dpa via SZ vom 18.04.2024)
2 „Bisher gab es fünf Verhandlungstage im Verfahren gegen einen Radio Dreyeckland-Journalisten“ (taz-Blogs vom 02.05.2024). / Bericht über den 4. Verhandlungstag mit Ankündigung der Termin für den 5. (30.04.), 6. (14.05.) und 7. (16.05.) Verhandlungstag: https://rdl.de/beitrag/5-verhandlungstag-am-dienstag-30424-9-uhr-30.
3 RDL berichtete am Samstag, den 04.05.2024: „Der Prozess wird fortgesetzt am 14. Mai 2024 um 9 Uhr 30 in Saal 125 im 1. OG des Landgericht Karlsruhe. Bisher weiter bekannte Termine: Donnerstag, 16. Mai 2024 mit wahrscheinlich den Plädoyers“.
Am Montag bestätigte die Pressestelle des Landgerichts Karlsruhe mit einer kleinen Präzisierung: „In Bezug auf die anstehenden Termine ist es nicht ausgeschlossen, dass auch bereits am 14.05.2024 bereits plädiert wird. Da das Beweisprogramm der Kammer abgeschlossen ist, hängt die weitere Dauer des Verfahrens vorrangig vom weiteren Verlauf der Verhandlung, insbesondere von der Stellung weiterer Beweisanträge ab.“ Sollte die Plädoyers bereits am 14.05. stattfinden, so würde die Urteilsverkündung aber trotzdem erst am 16. stattfinden, so die Landgerichts-Pressestelle.
4 „Der Redakteur des Freiburger Alternativsenders Radio Dreyeckland (RDL) soll durch den bloßen Internet-Link die Fortführung einer verbotenen Vereinigung unterstützt haben. […]. Kienert hatte im Juli 2022 auf der RDL-Webseite einen Artikel veröffentlicht, in dem es um die seit 2017 verbotene linksradikale Agitations-Plattform linksunten.indymedia ging. Der Text endet mit dem lapidaren Satz: ‚Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.‘ Dabei war die Archivseite auch verlinkt.“ (vorwärts vom 18.04.2024) / Dem „Radio-Journalist Fabian Kienert […] Ihm wird vorgeworfen, eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben, und zwar mit der Verlinkung auf die Seite linksunten.indymedia.org in einem Nachrichtenartikel.“ (netzpolitik.org vom 18.04.2024)
Bei der „ verbotene Vereinigung“ soll es sich um die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ gehandelt haben (siehe dazu sogleich im Haupttext).
5 Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart wurde im vergangenen Jahr – auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft – mit dem Verfahren befaßt, nach dem das Landgericht Karlsruhe die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens gegen Kienert zunächst abgelehnt hatte. Das OLG entschied, daß das Verfahren sehr wohl durchgeführt werden müsse: „Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit [die angebliche Archiv-Veröffentlichung durch einen verbotenen „Verein“] zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt (‚wir sind alle l[inksunten]‘, ‚konstruiertes Verbot‘, ‚rechtswidrige Durchsuchung‘) und den Leser dahin lenkt, die verbotenerweise immer noch betriebene Website zu besuchen und sich über deren Inhalte zu informieren.“ (OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23, Textziffer 55)
6 „Der Bundesanzeiger (BAnz) ist als Amtsblatt neben dem Bundesgesetzblatt ein weiteres Verkündungs- und Bekanntmachungsorgan der deutschen Bundesbehörden. Es wird vom Bundesministerium der Justiz herausgegeben und erscheint im Bundesanzeiger Verlag, der 1998 teilweise und 2006 vollständig privatisiert wurde. Er gehört heute vollständig zur DuMont Schauberg Mediengruppe mit Sitz in Köln. Bis zur Einführung des elektronischen Bundesanzeigers (eBAnz) war der Bundesanzeiger zusätzlich Pflichtveröffentlichungsblatt für gerichtliche und sonstige Bekanntmachungen, für alle Handelsregistereintragungen sowie für gesetzlich vorgeschriebene Veröffentlichungen von Jahresabschlüssen und Hinterlegungsbekanntmachungen der Unternehmen. Der Bundesanzeiger erschien vor dem 1. April 2012 viermal wöchentlich. Seitdem wird er typischerweise fünfmal wöchentlich herausgegeben, sogar an manchen Wochenenden oder gesetzlichen Feiertagen.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bundesanzeiger&oldid=242883818; Hv. i.O.; Hyperlinks im Zitat teilweise getilgt)
7 Der vereinsgesetzliche Vereinsbegriff ist weit: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)
8 Siehe (als recht affirmative) Darstellung: Rainald Maaß, Die Generalklausel des Sozialistengesetzes und die Aktualität des präventiven Verfassungsschutzes, Decker & Müller: Heidelberg, 1990. In der Schlußbemerkung auf S. 37 heißt es: „soweit die Kritik [am Sozialistengesetz …] das legitime Anliegen eines präventiven Verfassungsschutzes, welches auch das Anliegen des Sozialistengesetzes war, unberücksichtigt läßt, muß sie sich den Vorwurf eines zu engen Blickfeldes gefallen lassen“.
9 Siehe dazu: Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1978; Hans Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, Mohr: Tübingen, 1967.
10 Vergleichend zur KommunistInnen-Verfolgung der 1950er und 1960er einerseits und Radikalenerlaß-Praxis der 1970er und 80er Jahre andererseits: Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Wallstein: Göttingen, 2013.
11 „neuerdings als ideologisierend-polemisches Schlagwort im Zusammenhang mit → Terrorismus“ (Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. 4, 1978; https://www.owid.de/artikel/320124).
12 Hanno Balz, „Sympathisanten“ als politisches Feindbild (rls Standpunkt 1/2008); https://www.rosalux.de/publikation/id/1037 / https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_0801.pdf, S. 2: „Im ‚Sympathisanten‘-Diskurs der 70er Jahre haben wir es mit einer ideologischen Frontenbildung mitten durch die Gesellschaft zu tun, deren Ausdruck schließlich auch die Einführung von Gesetzen war, die schon bestimmte Äußerungen und damit ‚Gesinnungen’ kriminalisierten. […]. Im Gegensatz zum offen zutage tretenden ‚Terrorismus‘ ist die Bedrohung durch die kaum greifbaren ‚Sympathisanten‘ zwar indirekter, dennoch, so wurde immer wieder von Medien und Politik betont, am Ende sogar gefährlicher für Staat und Gesellschaft.“
13 https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001439981.
14 „Die Seite Indymedia Linksunten ist nach dem Verbot nicht mehr aktiv. Aber unter linksunten.indymedia.org findet man das Archiv der Seite mit allen alten Einträgen.“ (Der Hyperlink beim Wort „Archiv“ führt zu folgender Adresse: https://linksunten.indymedia.org/.)
15 https://rdlsoli.noblogs.org/post/2024/04/28/prozessbericht-tag-3/ (Prozessbericht Tag 3).
16 Weiter kein Beweis für die weitere Existenz von linksunten.indymedia (RDL vom 25.04.2024).
17 Siehe zu den dafür erlassenen Durchsuchungsbeschlüssen meinen Artikel Hausdurchsuchungen wegen nichts in der jungen Welt vom 27.12.2024.
18 „§ 84 StGB n.F. ist auch neben § 86 StGB n.F., […], anwendbar. Er sollte durch diese Vorschrift nicht eingeschränkt werden.“ (BGH, Urteil vom 17.12.1975 zum Aktenzeichen 3 StR 4/71 I, Textziffer 10)